Der Mann mit den Scherenhänden – Thomas Pakull – zeigt uns seine doch etwas spezielle Art von Kunst. Art
Artikel erschienen am 30.04.2013
Nur ein Jahr lang war The Lazy Dog Gallery in der Wexstraße ansässig. Ende Dezember 2012 zog Hamburgs erste Galerie für contemporary Design Art nach Altona in den Concept Store The Box - dort residierte bis zur Schließung das Theater in der Basilika auf dem Borselhof. Und dort präsentierten die bei den Galeristen Monika Brune und Jan van Rossem die erste Ausstellung in den neuen, schönen, so viel größeren Räumen. Unter dem Motto "Thomas Pakull mit den Scherenhänden - reduced to a Moment" zeigt der Wahlmünchner Pakull außergewöhnliche Scherenschnitte. Die drei Serien heißen "Schattenbilder", "Gefangenes Licht" und "Die Serie Modi". Die rund 400 Vernissagegäste waren besonders von "Schattenbilder" begeistert. Darin hält Thomas Pakull zweifarbig bewegende Szenen der jüngsten Geschichte fest. Der Künstler arbeitet vornehmlich mit Schere, Skalpell und mittlerweile auch Säge. "Wir möchten auch in Zukunft herausragenden nationalen und internationalen Jungdesignern eine Plattform für ihre Arbeiten geben", so Monika Brune, die im Hauptberuf Inhaberin der renommierten und ältesten Hamburger PR-Agentur Blume PR ist. Nach der Vernissage in der lässigen The-Box-Atmosphäre auf zwei Ebenen gab es neben Getränken und Snacks noch Livemusik von der Band Side by Side.
Artikel erschienen am 30.04.2013
"Bitte arbeite nur in einem Zimmer", bat seine Frau. Erzeugen doch die Grundlagen für die künstlerische Freizeittätigkeit von Thomas Pakull eine gewisse Düsternis, da der Artdirektor und Werber feststellen musste, dass eigentlich nur die Tragödien der Welt für seine Kunst taugen, weil vor allem sie sich in unser Gedächnis gebrannt haben. Pakull pflegt die Technik des Scherenschnitts, und seine Bildmotive sind berühmten Dokumentarfotografien entliehen, wie der vom toten Uwe Barschel in der Badewanne oder dem am Grab des Vaters salutierenden kleinen John-John Kennedy (Foto). Reduziert, ästhetisch verdichtet und sofort präsent. Bis zum 8. August sind die "Schattenbilder" bei Headegg, Trögerstraße 19, in München zu sehen.
Scherenschnitt… zuerst denkt man dabei wahrscheinlich an die Goethe-Zeit, an die schwarzen Profile, die den Menschen aus seinem Umriss entstehen lassen. Dort, wo man den Menschen vermutet, ist jedoch nichts, nur ein schwarzes Papier. Der Scherenschnitt versucht keine Illusion zu erzeugen. Er ruft in unserem Kopf etwas auf und macht im nächsten Moment klar, dass dies nicht wirklich hier ist. Schauen wir genau hin, blicken wir auf eine Fehlstelle.
Thomas Pakull verwendet diese Technik nicht für Portaits. Er schneidet das Papier so, dass man berühmte Fotografien zu erkennen glaubt. Bilder, die die Welt bewegten. Sie alle haben noch etwas gemeinsam: Wir glauben Menschen zu sehen, Menschen, die leiden oder sterben. Wenn wir diese Bilder betrachten, laufen in unseren Köpfen ganze Kaskaden von Gefühlen und Assoziationen ab. Thomas Pakull führt uns jedoch nicht die realen Situationen vor Augen. Dort wo die Menschen sein sollten, blicken wir auf nichts, nur das leere Papier. Das erkennt unser zweiter Blick. Und dennoch war in uns diese Flut aus Schreck und Anteilnahme! Es ist beeindruckend, wie stark diese Bilder sind. [...]
[...] Aber es greift zu kurz, wenn man in den Schattenbildern von Thomas Pakull nur die emotionale Wucht der Vorbilder sehen würde. Mit der Übertragung in Scherenschnitte läßt er uns die Leerstelle sehen. Wir können so bemerken, dass diese aufwühlenden Fotos gar nicht mehr mit der urspünglichen realen Situation verbunden sind. Wir erleben lediglich die modernen Mythen, die um diese Fotografien gebildet wurden. Die realen Situationen und die realen Menschen, haben wir dabei längst hinter uns gelassen.
Thomas Pakull ist Art Director. Er kennt die Medienbranche, die mit ihrer großen Maschinerie, in der Lage ist, aus fotografierten Momenten moderne Ikonen zu machen. Indem Thomas Pakull berühmte Bilder des Leidens in Scherenschnitte überträgt, stellt er beeindruckend einfach die Frage nach der Wahrheit hinter diesen Bildern und nach ihren Fehlstellen.
LENA NAUMANN
„Wo viel Licht ist, ist starker Schatten“, schreibt Goethe in seinem Götz von Berlichingen. Dieser Satz besitzt eine Gültigkeit im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Selten wird dies deutlicher als in der Biographie von Ikonen der Geschichte und Zeitgeschichte. Man muss nicht erst Personen wie John F. Kennedy oder Lady Diana bemühen, um zu verstehen, wie sehr das Licht der Öffentlichkeit auch die Schattenseite des Unglücks implizieren kann oder es möglicherweise sogar anzieht. Nicht selten in höchst dramatischer Form.
Schon immer hat es Künstler gereizt, sich mit dem Phänomen des Schattens als Komplement und Wirkung des Lichts kreativ auseinanderzusetzen. Der Münchner Künstler Thomas Pakull verarbeitet das Die Schattenbilder von Thomas Pakull Thema in einer Serie, die er in einem mehrdeutigen Verständnis Schattenbilder nennt, und verwendet dazu eine Technik, die – obschon alt – durch seine Bildsprache eine höchst moderne Anmutung erhält: der Scherenschnitt.
Thomas Pakull wurde 1968 in Bielefeld geboren und absolvierte von 1990 bis 1994 ein Studium der Visuellen Kommunikation an der Düsseldorfer Fachhochschule für Gestaltung, wo Wolf Erlbruch zu seinen Lehrern gehörte. Nach Stationen in London und Hamburg arbeitet er heute als geschäftsführender Kreativdirektor der Werbeagentur interone, ist aber parallel zur Arbeit als Werbefachmann seit vielen Jahren auch als freier Künstler tätig. 2009 entdeckte ihn Hubertus Hamm, der manchem Münchner durch seine diesjährige Fotoausstellung in der Pinakothek der Moderne bekannt ist. Hamm zeigte die Schattenbilder in seinem Offspace Headegg in der Trogerstraße und ist seither auch Galerist von Thomas Pakull.
Der Begriff des Schattenbildes hat in den Scherenschnitten von Thomas Pakull eine dreifache Bedeutung: Da ist zum einen ein Moment der Reduzierung, der bis heute auch im Wort Silhouette mitschwingt. Es geht auf den französischen Generalkontrolleur der Finanzen Etienne de Silhouette (1709 – 1767) zurück, der 1759 einen rigiden Sparkurs durchzuführen versuchte. In diesem Sinne ist die Silhouette ein sparsamer Umriss, der sich auf die notwendigsten Linien beschränkt, wie es beim Schattenriss des klassischen Scherenschnitts der Fall ist. Diese Reduzierung wird in den Schattenbildern bis zu einem Grad betrieben, der fast nicht mehr zu steigern ist.
Zum zweiten behandelt Thomas Pakull in seiner siebzehn Momente der jüngeren Geschichte umfassenden Serie ausschließlich Schattenthemen, indem er Schicksale, welche die Welt bewegten, als Motiv wählt. Da ist das Kind John F. Kennedy jr., das am Grab seines ermordeten Vaters salutiert, ein Flüchtlingstreck aus Ostpreußen, der entführte Hans-Martin Schleyer, der tote Uwe Barschel oder die brennenden Twin Towers. Alle Ereignisse zeigen persönliches Leid, das zu seiner Zeit Symbolkraft besaß und eine starke Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit erfuhr, die teilweise bis heute andauert.
Der dritte Schattenaspekt ist technischer Art: Pakull klebt seine Scherenschnitte nicht direkt auf weißes Papier, sondern mit einem Abstandshalter, so dass die Umrisslinien ihrerseits einen Schatten auf das Trägermaterial werfen, der je nach Lichteinfall wechselt.
Die technische Herstellung der Schattenbilder geschieht in einem mehrstufigen Prozess: Nachdem Thomas Pakull sich für ein Foto entschieden hat, bearbeitet er es am Computer. Zunächst verwandelt er es durch die Eliminierung der Farben und die Auflösung aller Grautöne in ein reines Schwarz-Weiß-Bild. Danach werden die Umrisslinien Stück für Stück herausgearbeitet und überall dort gelöscht, wo sie für die Wiedererkennung nicht absolut notwendig sind. Während dieser Phase bildet sich die eigenständige Handschrift des Künstlers heraus. Es entstehen zahlreiche Varianten, bis eine unter ihnen der künstlerischen Intention am nächsten kommt: das Wesen der Bildaussage maximal zu verdichten. Diese Version wird ausgedruckt und auf Tonpapier übertragen. Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit mit dem speziellen Scherenschnittwerkzeug Skalpell und Schere.
In Deutschland erfuhr der Scherenschnitt seine größte Blüte zur Goethezeit und im 19. Jahrhundert, als es noch nicht möglich war, einen Menschen oder einen Gegenstand mittels Fotografie auf Papier abzubilden. Durch die Erfindung des Fotos kam nicht nur das naturalistische Abmalen, sondern auch der Scherenschnitt aus der Mode und fristete lange ein Schattendasein, bis sich der Deutsche Scherenschnittverein e. V. der Erhaltung und Weiterentwicklung dieser künstlerischen Technik annahm.
Im Gegensatz zu traditionellen Arbeiten, die oft naturalistisch, verspielt oder ornamental daher kommen, besitzen die Scherenschnitte von Thomas Pakull einen ganz anderen Charakter. Sie wirken männlich- markant bis holzschnittartig – letzteres eine Folge des Reduktions- und Konzentrationsprozesses bei der Herstellung, der auf überflüssige Schnörkel konsequent verzichtet. So entstehen Bilder, die manchmal weitaus intensiver unter die Haut gehen als das Originalfoto. Die Schatten bilder erschüttern und sind gleichzeitig sehr ästhetisch. So entsteht eine ganz eigene Spannung. Ein wenig schwingt in jeder Arbeit ein „Ecce homo!“ mit, ein Hauch von Shakespeare und griechischer Tragödie. Thomas Pakull formuliert das Entsetzliche und Unbegreifliche mit einer Technik, die in früheren Zeiten zum harmlosen Porträtieren eingesetzt wurde und seit langem als künstlerisches Ausdruckmittel nicht mehr wirklich ernst genommen worden war. Pakull zeigt, dass der Scherenschnitt als Technik viel mehr kann als nur die Wiedergabe eines Gesichtsprofils oder eines Ornaments. Seine Schattenbilder ermöglichen einer handwerklichen Ausdrucksform, die schon fast vergessen zu sein schien, eine Renaissance. Der Scherenschnitt mit der von Pakull ins Extreme getriebenen Reduzierung befreit sich aus der Sphäre der Bastelecke und bekommt eine höchst politische Dimension. Das gibt diesen Bildern ihre innovative, avantgardistische Qualität, die durch die Art der Hängung noch verstärkt wird: Thomas Pakull präsentiert seine Silhouetten, auf Abstandshalter geklebt, in einem verglasten Objektrahmen, in dem die historischen Motive eine zusätzliche Aura von Erhabenheit und Museumswürdigkeit bekommen.
Wenn Thomas Pakull „mit der Schere im Kopf“ arbeitet, bekommt dieses Wort bei ihm eine neue Bedeutung: nicht im Sinne einer Reduzierung im Dienst der Zensur, sondern im Sinne eines durch Elimination gesteigerten Aussagehalts. Dabei kommentiert der Künstler nicht, sondern gibt dem Betrachter nur einen leisen Anstoß, um einen eigenen inneren Film zu starten und seinen spontanen Assoziationen nachgehen zu können. Selten sind Linien derart zurückhaltend und doch eindringlich und appellativ, neutral und doch politisch, individuell und gleichzeitig Teil eines kollektiven Gedächtnisses wie in diesen Arbeiten.
Wer Scherenschnitte von Thomas Pakull live sehen will, hat bald wieder Gelegenheit dazu: im Rahmen der Ausstellung der Gruppe Zwanzig Zehn Das Ich im Anderen vom 16. September bis 7. Oktober im Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz und vom 18. September bis 16. Oktober im Museum im Pflegschloss Schrobenhausen.
[ Museumswärter beim Ankleben eines blinden Cowboys an einer Museumswand ]